M. Klein: Westdeutscher Protestantismus und politische Parteien

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Titel
Westdeutscher Protestantismus und politische Parteien. Anti-Parteien-Mentalität und parteipolitisches Engagement von 1945 bis 1963


Autor(en)
Klein, Michael
Reihe
Beiträge zur historischen Theologie 129
Erschienen
Tübingen 2005: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
527 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Heiko Geisenhof

Die Erforschung der Kirchengeschichte der Bundesrepublik Deutschland ist trotz mancher Arbeiten etwa von Martin Greschat, Anke Silomon, Claudia Lepp und Kurt Nowak noch immer ein verhältnismässig unerforschtes Wissenschaftsfeld. Das gilt bedauerlicherweise auch im Blick auf die in jüngster Zeit erschienen Gesamtdarstellungen der Geschichte der Bundesrepublik etwa von Eckart Conze, Manfred Görtemaker oder Edgar Wolfrum, die religionspolitische Fragen nur wenig ausführlich behandeln.

Es ist deshalb ein wichtiger Beitrag zum besseren Verständnis des Verhältnisses von Staat und Kirche nach 1945, dass sich Michael Klein, in Wuppertal habilitierter Theologe und promovierter Historiker, in seiner Habilitationsschrift mit der Mentalitätsgeschichte des politischen Protestantismus im 20. Jahrhundert beschäftigt hat – für beide Disziplinen ein lohnendes Feld. Das Scheitern des Weimarer Parlamentarismus und noch darüber hinaus die Frage der Verbindung zwischen Nationalismus und Protestantismus seit Mitte des 19. Jahrhunderts bilden den Hintergrund des Kernanliegens Kleins, die Suche nach den Wurzeln und den Auswirkungen der «Anti-Parteien-Mentalität» des politischen Protestantismus, die den reformierten Teil der deutschen Christenheit sich nur mit Mühe an die neue Staatsform der Demokratie annähern liess.

Zu Recht lässt Klein sein Werk mit einer ausführlichen Darstellung (21–88) der Entwicklungslinien zwischen Protestantismus und den politischen Parteien bis 1945 beginnen. Nicht nur dem Laien bieten diese ersten Kapitel einen guten Einstieg in die durch Staats- und Obrigkeitsgläubikgeit besonders geprägte Rolle des Protestantismus in Kaiserreich, Weimarer Republik und Führerstaat. Sie gibt auch einen guten Überblick über das Engagement einzelner, führender Protestanten in den Parteien von Weimar. Es war eben auch die religiöse Prägung vieler Protestanten, welche sowohl die Allianz zwischen Thron und Altar als auch die «Politische Religion des Nationalsozialismus» (466) begünstigte.

Ein Gutteil der Untersuchung widmet sich der Entstehung der CDU/CSU (89–263) als prinzipiell überkonfessioneller Partei mit dezidiert christlichem Anspruch: hier natürlich vor allem aus protestantischer Sicht und mit intensiver Begleitung protestantischer Protagonisten wie Otto Schmidt, Hermann Ehlers, Eugen Gerstenmaier oder des später ausgetretenen, doch für viele Protestanten wegweisenden Gustav Heinemann. Ausführlich werden die Gründungsjahre der CDU auch anhand einzelner, regionaler Parteigründungen verfolgt sowie ideologische und realpolitische Positionskämpfe vor allem im Zusammenhang mit dem «C» im Parteinamen nachvollzogen. Anders als die meisten katholischen Bürger, die die Bundesrepublik schnell als eigene politische «Heimat» begriffen (so Gerhard Schmidtchen), stellt Klein im Protestantismus eine immer noch andauernde Distanz zur Bonner Parteien-Politik und eine ständige Problematisierung der christlichen Dimension der eigenen Politik vor dem rapiden Wandel Westdeutschlands fest. Mit Gustav Heinemann wechselt der Autor zur Betrachtung von politischen Alternativen zum Konzept der CDU wie der Gesamtdeutschen Volkspartei, um schliesslich bei der SPD und ihrem Verhältnis zum Protestantismus anzukommen (323–375). Eine sehr instruktive Darstellung der Position von Evangelischer Kirche und wichtigen Theologen wie Karl Barth, der durchaus kritisch beleuchtet wird, rundet die Untersuchung ab.

Kleins These über die negative, wenn nicht verhängnisvolle Wirkung der diagnostizierten «Anti-Parteien-Mentalität» des Protestantismus überzeugt nicht zuletzt wegen der detaillierten und umfassend gelungenen Darstellung der fraglichen Zeit und der politischen Akteure. Er sieht diese «Anti-Parteien-Mentalität» mit einer aus dem frühen 19. Jahrhundert stammenden politischen Romantik verbunden, die leicht Gedankengut des politischen Konservatismus der Weimarer Jahre aufnahm und mitunter die Aktionsform der Bewegung der der Partei bevorzugte. Darin zeigt sich auch die Schwäche des Protestantismus, bis tief ins späte 20. Jahrhundert hinein keine pragmatische, umsetzbare theologische Ethik des Politischen, kein klares politisches Handwerkszeug und lange keine kirchenamtlich positive Verhältnisbestimmung zur Demokratie entwickelt zu haben. Doch dies alles sagt nicht allein etwas über die evangelische Kirche aus, sondern auch über weite Teil der westdeutschen Bevölkerung, die einige Jahrzehnte brauchte, um sich mit dem Modell einer liberalen, pluralen Demokratie (und eben nicht mit einem christlichen Staatsmodell) zu arrangieren.

Allerdings wirkt Kleins Fokussierung auf die «Anti-Parteien-Mentalität» mitunter etwas zu einseitig: Kleins Verständnis protestantischer Kultur und Politik als Ausdruck eines deutschen «Sonderwegs» vor allem im Vergleich zur britischen parlamentarischen Tradition bleibt problematisch, eine Reflexion über das Für und Wider dieser Konzeption findet nicht statt, einschlägige Ansätze von Geoff Eley und David Blackbourn werden nicht aufgenommen. Überhaupt hätte der theoretische Rahmen der enorm fleissigen und kundigen Arbeit breiter sein können. Auffällig ist zudem, dass die Quellenbasis sich stark auf Personennachlässe konzentriert. Das wirkt sich auch auf den mitunter etwas kleinteiligen Duktus der Darstellung aus. Positiv hervorzuheben ist dagegen, dass Klein damit schwer zugängliches Material erschliesst und darstellt. Deshalb wird sein Buch für wietere Arbeiten am Staats-Kirchenverhältnis der Bundesrepublik hilfreich sein. Überzeugen kann Kleins These, dass die Gründung der überkonfessionellen CDU eine «erhebliche Modernisierungsleistung» (467) sowohl für politisch engagierte Christen als auch die frühe Bundesrepublik bedeutete. Insbesondere die legitimatorische Bedeutung Gustav Heinemanns, aber auch Hermann Ehlers für das Gelingen des Experimentes Bundesrepublik arbeitet Klein klar heraus. Er zeigt zudem, dass die in der evangelischen Kirche nach 1945 massgeblichen, aus der Bekennenden Kirche stammenden Bruderräte mehrheitlich nicht in der CDU, sondern in der SPD ihre Heimat fanden. Adenauers autoritärer Führungsstil, die Westbindungspolitik, aber auch Sympathien für einen christlichen Sozialismus bei manchen Theologen liessen die stark katholisch geprägte Union als zu fremd erscheinen.

Für die Entwicklung und theologiepolitische Geisteshaltung in der frühen Bundesrepublik bietet das Werk Michael Kleins einen dichten und umfassenden Überblick. Es schlägt mit seiner Paralleluntersuchung der parteipolitischen Landschaft im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik wichtige Schneisen für das Verständnis des Verhältnisses von Protestantismus und Politik, die in weiteren Forschungsarbeiten unbedingt vertieft werden sollten.

Zitierweise:
Heiko Geisenhof/Roland Löffler: Rezension zu: Michael Klein, Westdeutscher Protestantismus und politische Parteien. Anti-Parteien-Mentalität und parteipolitisches Engagement von 1945 bis 1963 (=Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 129), Tübingen, Mohr Siebeck, 2005. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 349-351.

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